Montag, 20. Mai 2013

Die Freiheit — als eine schöne Kunst betrachtet?



Der folgende Text schließt an den gestrigen zu Freiheit und Liebe an, ist aber schon acht Jahre älter und wurde im Jahr 2005 als Wettbewerbsteilnahme im Schillerjahr verwendet und dort angemessen ignoriert - viele Fragen passen zur aktuellen Diskussion des Freiheitsbegriffes und darum scheint die Wiederveröffentlichung trotz der zugegeben etwas verstiegenen Sprache angemessen und vielleicht sogar geboten, denn wohin steuert unsere Freiheit im postdemokratischen Zeitalter des virtuellen Dating?


Die Freiheit — als eine schöne Kunst betrachtet?

Vor leeren Blättern saß Schiller. Nichts stand zwischen ihm und seinen Worten, als ein mechanischer Vorgang, den er vollkommen verstand. Auf meinem Bildschirm aber bilden sich die Buchstaben nur ab, sind Produkt komplexer Technik, die ich nicht verstehe. Meine Befehle werden durch geheime Codes gesteuert, die ich nicht kennen darf. Schriebe ich wieder von Hand, verstünde ich noch lange nicht, welche Teile meiner neuronalen Netzwerke dazu ihre Spannung sandten. Ich weiß nicht, was ich tue und soll mich über die Freiheit versuchen, künstlerisch sein.

So ich Willensfreiheit annehme, – gewagte Hypothese, zugegeben, aber was bleibt mir? – ist zumindest die Willensbildung frei. Ist Bedingung für Kunstschaffen der Schöpfungswille, wäre ohne Freiheit keine Kunst mehr. Dem Begriff nach nicht begrenzbar, bliebe Freiheit ohne Kunst denkbar, wüsste jedoch nicht, wie schön Sein bliebe. Die Unbestimmbarkeit machte die begrenzte Freiheit zur Unfreiheit.

Im Essay soll ich mich an der Freiheit versuchen und „eine Architektur aus Bruchstücken“ riskieren. Dies entspräche, wie heutige Baukunst, dem Dogma der Funktionalität, hätte, ohne alles Schöne, zumindest einen Zweck. ‚An’ soll ich mich versuchen lassen. Will ich geplant distanziert bleiben, müsste ich also über ihr stehen. Unfrei erreiche ich diesen Punkt gar nicht mehr. Alles Weitere ist eigentlich Unsinn, was noch nichts über dessen ästhetischen Wert sagt.

Bin ich frei dies zu tun, oder ist es gerade eine schöne Kunst, die Illusion aufrecht zu erhalten, es gäbe eine Entscheidung und der Weg zu ihr wäre Teil eines schöpferischen Prozesses?

Der durch Verlockungen bestimmte, ist nicht mehr frei. Wer den Spuren der Logik folgt, schiede hier bereits diejenigen aus, die im Bewusstsein dessen schrieben und eine Beeinflussung nicht ausschließen können.

Einsam und leer würde es in den urteilenden und anonymisierenden Amtsstuben. Einzig die Gutachter, deren Siegel den Geprüften ihre Bewusst- und Ahnungslosigkeit beglaubigt, mehrten sich. Wo einer die staatlich geprüften Freiheitsvoraussetzungen bejaht, wird es zehn andere geben, die sie verneinen, von denen sich wiederum leicht die doppelte Anzahl findet, die beide widerlegen. Entsprechend ihrer Wertigkeit werden sie von den Stubenbewohnern geordnet und zur Entscheidung herangezogen. Bei Gleichwertigkeit können schlichte Mehrheitsentscheidungen helfen, falls sich diese nicht finden, bleiben als letzte Möglichkeit noch Lose. Sie sind mit ihrem zufälligen Heilsversprechen die wahre Religion unserer Gesellschaft.

Die wissenschaftliche Freiheitsbeurteilung beschäftigte nicht nur Philosophen, Theologen und leider auch Juristen, sie zöge auch ganze Herden von Doktoranden an. Noch keine Erwähnung fanden die stillen Zuarbeiter der geistigen Eliten. Von den Hilfswissenschaftlern, über die Bibliothekare und die Bediensteten der Vervielfältigung hin zu den Wartungsfirmen, denen die Pflege der überforderten Rechner obläge. Ganz zu schweigen von den Folgeaufträgen für die Bauwirtschaft, die Ersatz für die nun permanent überfüllten Ämter schüfe.
Beschäftigung wird für viele, in wieder von Nürnberg aus geprägten Zeiten, als Grundlage von Freiheit definiert. In diesem Sinne spricht das Wohl der Mehrheit für die Teilnahme. Wenn es auch sinnlos ist, der Freiheit einen Rahmen zu geben, sozial scheint es. Betrachte ich die Freiheit einfach nur als eine schöne Kunst, fällt mir die Beschäftigung mit dem Absurden leichter. Die Frage nach dem ästhetischen Wert des Sozialen und Demokratischen verbietet sich zum Glück im engen Korsett öffentlicher Meinung. Sie gliche der, nach dem volkswirtschaftlichen Bilanzwert Behinderter. Wozu sich auch keiner mehr äußert.

Anders Schiller, der in den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen noch vom objektiv Schönen in der Kunst sprechen konnte und zum politischen Mehrwert der Kunst feststellte: „In der Tat muss es Nachdenken erregen, dass man beinahe in jeder Epoche der Geschichte, wo die Künste blühen und der Geschmack regiert, die Menschheit gesunken findet und auch nicht ein einziges Beispiel aufweisen kann, dass ein hoher Grad und eine große Allgemeinheit ästhetischer Kultur bei einem Volke mit politischer Freiheit und bürgerlicher Tugend, dass schöne Sitten mit guten Sitten, und Politur des Betragens mit Wahrheit desselben Hand in Hand gegangen wäre. “

Was die von Demagogen für Mehrheiten gehaltenen Massen hinter vorgehaltenen Händen raunen, möge im Dunst stecken bleiben, der schon die Gründe ihrer Urteilsfindung verhüllt. Kaum wage ich, der ich nicht über schmidtschen Medienruhm und Schutz verfüge, noch einmal den Jubilar zu zitieren. Sein Alter gibt ihm jenseitige Unantastbarkeit, möge sie die Sittenwächter beruhigen: „In den niedern und zahlreichern Klassen stellen sich uns rohe gesetzlose Triebe dar, die sich nach aufgelöstem Band der bürgerlichen Ordnung entfesseln und mit unlenksamer Wut zu ihrer tierischen Befriedigung eilen.“

Fassungslos höre ich den Revolutionär, der mit Räubern und Flucht nach Mannheim noch für die Freiheit litt – dahingestellt, ob Mannheim allein Grund genug gäbe – sich versteckte, den großen Kant nach mehrjähriger Lektüre zu bezweifeln wagte. War er nur noch der salonfähige Dichterheld der Plattitüden, der sich im Zitateschöpfen erging? Seine Adelung, das Wesen wohl tiefer prägend als heutige Bundesverdienstkreuzung, könnte ihm, klassenimmanent, den Blick getrübt haben.

Weiterlesend wird der Reaktionär zum Nihilisten, der zwar in ständischen Vorurteilen gefangen, doch seiner sich aufgeklärt gebenden Zeit, die sich metrisch reimend in der Sinnsuche erging, weit voraus, sich zur Hoffnungslosigkeit bekennt: „Auf der andern Seite geben uns die zivilisierten Klassen den noch widrigern Anblick der Schlaffheit […], die desto mehr empört, weil die Kultur selbst ihre Quelle ist. Die Aufklärung des Verstandes, deren sich die verfeinerten Stände nicht ganz mit Unrecht rühmen, zeigt im Ganzen so wenig einen veredelnden Einfluß auf die Gesinnungen, daß sie vielmehr die Verderbnis durch Maximen befestigt. Wir verleugnen die Natur auf ihrem rechtmäßigen Felde, um auf dem moralischen ihre Tyrannei zu erfahren, und indem wir ihren Eindrücken widerstreben, nehmen wir unsre Grundsätze von ihr an.“


Das korrekte Verständnis dieser idealistischen Worte tönt es aus den Fluren der Sprachforscher, jenen mit staatlicher Deutungshoheit, lautet anders. Die Philosophen stören sich am Wirbel der Epochen und Schulen, halten den Missbrauch überkommener Begrifflichkeit für normwidrig. Die Strafbarkeit solchen Tuns wird schnell zur allgemeinen Forderung, der Juristen die Grundlage liefern: Wer ohne Diplom Hoffnungslosigkeit benennt und dabei überkommene Begrifflichkeiten vermengt, vergeht sich an der Würde des Jubilars, gefährdet den Rechtsfrieden, ist Unruhestifter erster Ordnung, der entweder öffentlicher Lächerlichkeit preisgegeben, oder der Wortlosigkeit überantwortet wird.

Was fürchterlicher ist im Angesicht der grausamen Methoden öffentlicher und privater Lächerlichkeit, scheint mir offensichtlich. Schwerer und schwerer fällt das Schweigen aber in Anbetracht der mit den Worten verbundenen Mission und ihrem wachsenden Gewicht. Wie wenig bleibt dem an Würde, der sich angesichts täglichen Irrsinns nicht mehr hörbar zur Hoffnungslosigkeit bekennen darf?

Könnte ich öffentlich nicht alles sagen, auch wenn ich mich lächerlich machte, es bestünde die Aussicht, die Hoffnungslosigkeit weiter zu verbreiten. Welch hehre Vision! Als Botschafter des Endes widme ich die Lächerlichkeitsmaschine zu einem Werkzeug der Aufklärung um. Warum soll ich länger verteufeln und flüchten, was ich doch in den Dienst der Sache stellen könnte? Das Blatt wendet sich. Natürlich bedeutet es zunächst auch Kompromisse. Ruhig und gelassen auf wiederholte dumme Fragen antworten, bei durchschnittlich drei Sendungen am Tag müsste nur knapp über tausendmal im Jahr dasselbe wiederholt werden. Lächerlich gemessen an globalen Rosenkränzen oder fernöstlicheren Mantras.

Es geht nicht um mich, sondern nur um die Sache, für die ich mich nicht dem Zeitgeist beuge, sondern ihn mir, durch innere Distanz, Untertan mache. Vielleicht, ganz streng geprüft, fände sich auch eine Spur von Eitelkeit, denn wer will nicht gefallen, aber eigentlich ist auch sie der Hoffnungslosigkeit dienlich, also letztlich gut. Ist dieses Vorurteil gegenüber der Eitelkeit nicht ein Anhängsel christlicher Gängelung? Die Mehrheit wird den steinigen Weg bereitwilliger gehen, wenn er ihr durch attraktive Repräsentanten dargeboten wird. Sie sollen sich identifizieren können mit mir als ihrem Helden des Untergangs.

Härter noch als Houllebecq in seinen Elementarteilchen oder Lem im futurologischen Kongress werde ich ihre Träume zertrümmern. Der Weg zur Freiheit führt über die Hoffnungslosigkeit, vermuten schnell die unbelehrbaren Anhänger positiven Denkens, die gerade neu neurolingual programmiert wurden und nun jede Prüfung als optimierbare Chance betrachten. Zu schnell. Erst die völlige Kapitulation vor der aussichtslosen Sinnlosigkeit allen Seins gibt in dem Moment, in dem der Schritt vom Leben zum Tod für das „Ich“ keinen Sinnverlust mehr bedeutet, einen ersten Blick auf die Freiheit. Dies aber verkünde ich euch aus meiner saddamschen Grube, in die ich mich, vor der globalen Berieselung flüchtend, verkroch und aus der ich die Welt mit meinem Unflat beriesele.

Immer wieder wird die Sinnsuche als hehrer Gralsweg mutiger Ritter auf dem Weg zum „Ich“ beschrieben. Dabei ist sie bloß ein reaktionärer Reflex derer, die im Schattenkabinett der Gruppenhöhle Führer sein wollen. Ihr Anpassungsbedürfnis ist noch immer höher als ihr Erkenntnisdruck. Einer ist so wenig frei wie der andere. Alle hängen sie ihr Sein an Komponenten außerhalb ihres Selbst, jenseits ihrer Entscheidungsbefugnisse.

Eine Gesellschaft der Hohlköpfe, die fertige Antworten als Konsumgut will, feiert sie als Helden, die ihren Traum von der erklärbaren Welt aufrechterhalten helfen. Sie sind erwünscht, so abstrus ihre Ansichten oder konstruierten Götter auch sein mögen, werden als Teil des Rechtsstaats gesehen, der sich durch die übersinnliche Inbezugnahme seiner einzig tauglichen Begründung beraubte, die Recht als auf Vertrag oder Diskurs beruhend definiert. Wer den vernünftigen Menschen voraussetzt und zur Verantwortung zieht, darf sich nicht gleichzeitig auf Hokuspokus stützen, der seinen konstitutiven Charakter nur aus seiner Tradiertheit gewinnt, sich in seinen Gründen aber von keinem anderen Aberglauben unterscheidet. Die Grausamkeit der Religionsverächter im vergangenen Jahrhundert taugt zur Rechtfertigung des Absurden im Staat nichts.

Es ist keine Kunst, sich frei zu gerieren, solange der Staat über meine Freiheit wacht, sie als Gut im Rahmen seiner beschränkten Anschauung garantiert. Langweiliges Selbstverständnis, in dem die Sinnsucher der Beschränkung bedürfen, sich noch frei zu fühlen. Hoffnungsfroh stürzten sie sich in den Kampf gegen den Terror, er gab ihrem Dasein neuen Sinn. Die folgenden Beschneidungen ihrer Freiheit bejubelten sie als Gewinn an Sicherheit. Eine Erfahrung, die das Fundament meiner Hoffnungslosigkeit so festigte, dass ich den Irrsinn dankbar betrachte. Zerstören sie doch mit ihrem Handeln jede, noch so kleine Aussicht auf Besserung.

Keiner verneinte Sinn und Kollektive konsequenter als Max Stirner, dessen Werk sogar der heilige Habermas als absurde Raserei bannte. Dass er Karl Marx, der ihn nach langen Ausführungen, doch keiner Kritik für würdig befand, zu seinem verhängnisvollen historischen Materialismus inspirierte, sollte unstrittig sein. Die Stimmen, die in Nietzsche nur noch den Plagiator Stirners sehen, mehren sich. Dass er unbekannt blieb, widerlegt die Gefährlichkeit seiner Thesen nicht. Ihm ging nichts über sich und so leitet er seinen Einzigen schon damit ein, dass er seine Sache auf Nichts gestellt habe und dass seine Sache weder das Göttliche noch das Menschliche ist, sondern „allein das Meinige“. Er definiert es, trotz aller konstruktiven Verneinung hier Kind seiner Zeit, als schöpferisches Nichts, aus dem er selbst als Schöpfer alles schaffe und ausdrücklich nicht als Nichts im Sinne der Leerheit. Die von Stirner erstrebte „Destruktion der Entfremdung“ und die mit ihr verbundene Rückkehr zur Authentizität hätte wohl die „Zerstörung der Kultur, die Rückkehr zum Tiersein“ zur Folge, ein Schritt in die richtige Richtung scheint es, einer mit dem sich die Einsamen gemeinsam machen können. Aber der Schein täuscht. Stirner blieb Ziel orientiert, wollte das „Jenseits in Uns“ überwinden, sah sich als Befreier von Jahrtausende alten religiösen Fesseln.

Es bleibt einsam, und die Aussichten auf Besserung aus dem Geist der Spaßgesellschaft sind schlecht. Gebe ich mich, des Themas wegen, dem totalen Verfall hin, lasse alle Hoffnung fahren, beende mein Leben ohne Grund, eher zufällig, nicht und werde endlich von diesem Elend völlig erdrückt, verharre ich wortlos depressiv vor der Frage, was es heißt, die Freiheit als eine schöne Kunst zu betrachten, erscheint am Horizont ein Licht: War jemals etwas etwas wert?

Es kann dahinstehen, wenn die Freiheit schon vorher verendete, alle Worte und Gedanken nur notwendige Folgen der Schwingung meines Hirns sind. Der Wolf und seine Sänger stimmen das alte Lied vom Determinismus neu an, verkünden, im Besitz vollständiger Landkarten zu sein. Sie verorten alles im elektromagnetisch verstandenen Hirn, das seiner Schuldkomplexe ledig, logischen Strukturen folgend, schaltet. Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir nicht nur den Sitz überflüssig gewordener Gefühle bestimmen, sondern diese mit geringst möglichem Aufwand auch behandeln und nutzen können?

Nicht Feuilletonseiten füllende kryptische Buchstabenfolgen sind mehr aktuell, viel kleiner als die sie verbergenden Säuren sind die allumfassenden neuronalen Netzwerke und die sie verknüpfenden Synapsen. Was sie wollen, geschieht. Sie sind die zwergenhaften Vorstandsvorsitzenden unseres Seins, ohne das wir wüssten, was sie verdienen und ob sie überhaupt etwas wollen und also wir, deren wichtigste Teile sie doch sind.

Erledigt sich die Frage nach dem Bewusstsein des Neurons mit der Verortung desselben in uns, oder kann eine Spannung unser Sein zu dem machen, das dies fragt, ohne zu wissen, was es tut?

Ich weiß es nicht.

In dieser Ahnungslosigkeit höre ich, leibnizbeschwerte Schönheit aus Heidelberg andere Töne anstimmen. Wie es den Schönen entspricht, verwirrt sie die simplen Muster männlicher Logik, weist die Minne der Kartografen zurück. Sie bestreitet den einen Ort für das Eine, wie den anderen für das eben Andere. Bezweifelt Orte überhaupt. Lässt uns in der Schwebe, in der wir für diesen oder jenen Zweck anderen Halt finden müssen. Das Zusammenspiel der vielen aus je anderen Quellen brächte uns Wissen um uns.

Auch wenn sich die Beiden mit Elfen jüngst gemeinsam manifestierten, die Beschränktheit ihrer Möglichkeiten bekannten, sich auf dem Stand von Jägern und Sammlern wähnten, was die Regeln betrifft, nach denen das Gehirn arbeitet, die biblisch nachgewiesene Überlegenheit Evas in Fragen der Erkenntnissuche wird in der Gegenüberstellung deutlicher. Erklärt uns unvollständigeren XY-Trägern in Bildern, die unserem Verständnishorizont entsprechen, die Berechtigung weiblichen Führungsanspruchs im Informationszeitalter. Folgen wir dem weiblichen Vorschlag, der das Gehirn weniger bestimmt als flexibel auf neue Anforderungen reagierend begreift, sind wir vielleicht sogar auf die eine oder andere Art frei, dies zu erkennen.

Unsere Netzwerke verlieren Raum und Zeit als Konstanten. Sie sind wandelbar, anpassungsfähig und reagieren den Anforderungen entsprechend. Das Gehirn wird als intelligentes System begriffen. Der bewundernde Beobachter solcher Erkenntnisse, die das Zusammenspiel jenseits aller Imperative organisiert beschreiben, verharrt still und liefe, wider besseres Wissen, Gefahr, gläubig zu werden. Wer schöpfte mein Hirn als die kunstvollste Form der Freiheit?

Noch halten mich, jenseits der sphärischen Zusammenhänge, die entsetzliche Wirklichkeit und ihre unabsehbaren Folgen im mühsam erlernten Nichts. Doch, was bleibt vom Kern meiner Person, wenn sich alles umdeuten lässt?

Dass es keine gültigen Antworten mehr gibt, verwirrt in Zeiten, in denen nur noch Tarngesetze uns am Menschen schöpfen hindern, wenig. Die in den Elementarteilchen gefundene Vision der postsexuellen Gesellschaft verliert im Angesicht pornografischer Internetfluten jeden Schrecken. Ist sie etwas anderes als die technische Umsetzung eines mühsam erreichten Karmazustandes?

Mit dem Verlust des kleinen Todes gebe ich das ursprünglichste Ziel auf. Sein oder Nichtsein unterscheidet sich nur noch funktional, nicht mehr inhaltlich. Die Hoffnung verliert ihren letzten Sinn.

Das Ziel in begreifbarer Nähe weiß ich noch immer nichts über die Freiheit. Zufrieden lehne ich mich zurück, wie gut, es bleibt hoffnungslos. Was ist da noch Schönheit? Dass ich mir jenseits aller Dogmen in unserem Seinssupermarkt die Freiheit nehmen kann, die mir gefällt? Ein postsexueller Orgasmus?

jens tuengerthal, Berlin 2005

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